Tag 4 - Weiterfahrt mit Hindernissen
Am nächsten Tag ist die Abfahrt für 11:00 Uhr geplant. So bleibt ausreichend Zeit, sich nochmals den Ort und vor allem den hübschen historischen Hafen anzuschauen. Die Njordsternen verlässt schon frühzeitig den Hafen; kurz danach legt auch die Dagmar Aaen mit Kurs Kiel ab, wo man sie auf der Kieler Woche sehen und besuchen kann. Im Hafen zurück bleiben etliche richtig hübsche kleinere Schiffe und größere Boote, die meisten noch mit hölzernem Rumpf.
Und dann nimmt das Unglück seinen Lauf. Bei den Vorbereitungen zum Ablegen stürzt unser ältester Teilnehmer schwer und verletzt sich an der Schulter. Mit schmerzverzerrtem Gesicht sitzt er in der Messe; wir rufen sofort den Notdienst. Aus dem 20 Autominuten entfernten Svendborg kommt ein Krankenwagen. Nach einer ersten Untersuchung steht fest, dass er ins Krankenhaus muss, um die Schulter zu röntgen. Einer der Mitsegler, der sehr gut Englisch spricht, fährt mit nach Svendborg, um für eine einigermaßen sichere Kommunikation zu sorgen.
Unser heutiges Tagesziel wäre Ærøskøbing gewesen. Von Svendborg geht da auch regelmäßig eine Fähre hin, aber für Kapitän Raggi und mich steht schnell fest: Wir segeln nach Svendborg und hoffen, dort wieder beide Segelkameraden an Bord nehmen zu können. Schnell werden die zwei im Krankenwagen per Messenger informiert.
Klar, die Stimmung ist jetzt erst mal etwas gedrückt. Aber im Laufe des Tages bekommen wir die Nachricht, dass es dem Unglücksraben den Umständen entsprechend gut geht und er die Fahrt mit uns gemeinsam fortsetzen kann. Der Wind ist auch heute nicht allzu stark, und er kommt mehrheitlich aus West, so dass wir keinerlei Manöver fahren müssen. Und dann setzen wir die Breitfock. Dieses riesige Tuch ist immer wieder ein Quell der Freude. Das Setzen ist relativ unkompliziert, aber alle, die schon mehrfach dabei fahren, wissen, dass der "Spaß" später kommt, nämlich wenn das Segel wieder zusammengelegt werden muss. Aber jetzt wird es erstmal aus seinem Sack geholt, auseinandergefaltet und an den beiden oberen Ecken an der Rah hochgezogen. Im ersten Bild ist die entsprechende Rah noch leer, dann aber bläht sich das riesige Tuch im Wind. So nähern wir uns Svendborg und gleiten unter der gewaltig hohen Svendborgsundbroen hindurch. Wenn man weiß, dass die Durchfahrtshöhe dieser Brücke 33 Meter beträgt und die Mastlänge des Großmastes der Hendrika bei 32 Metern liegt, ist man einigermaßen beruhigt, wenn man sich diesem Bauwerk nähert.
Svendborg voraus! Als wir uns dem Hafen nähern, sehen wir am Kai schon unsere zwei "Deserteure" am Kai stehen und uns zuwinken. Zwei Segelschiffe liegen dort auch, beide sind Zweimastschoner. Der mit dem schwarzen Rumpf ist die Meta, ein Schiff, welches mit seinem Baujahr 1884 weitaus älter ist als unsere ja auch schon über 100 Jahre alte Hendrika Bartelds. Der blaue Rumpf gehört zur Oban, 1903 in Emden, Ostfriesland gebaut und jetzt unter holländischer Flagge mit Heimathafen Kampen (NL) auf Ost- und Nordsee unterwegs. Und damit man immer weiß, wo man ist, steht der Ortsnamen in großen, bunten Buchstaben direkt am Kai.
Für den Smutje Bonden ist heute ein besonderer Tag: Er hat frei! Das heutige Abendbrot-Team hat fleißig Salate gefertigt, und Raggi baut am Steg den großen Gasgrill auf, den unser Schiff glücklicherweise an Bord hat. Für Steaks, Würste, Grillkäse und ähnliche Leckereien hatte ich beim Einkauf gesorgt, und so überlasse ich es gern anderen, für einen kulinarisch gelungenen Abend zu sorgen. Und so geht der Tag, der mit soviel Aufregung begann, in einem entspannten sommerlich-warmen Abend zu Ende.
Tag 5 - Ablegen noch vor dem Frühstück
Heute ist alles etwas anders. Wir haben gute Gründe, sehr früh die Leinen loszuwerfen, so dass es ausnahmsweise mal das Frühstück auf See gibt. Ich bin aber sehr zeitig aufgestanden, denn ich wollte mir unbedingt noch Svendborg anschauen. Und das lohnt sich in jeder Hinsicht. Zum einen ist diese dänische Hafenstadt mit ihren 27.300 Einwohnern ein richtiges Schmuckstück, zum anderen findet der segelschiffsaffine Mensch auch hier eine Hafenszene mit vielen schönen alten Schiffen. Äußerst interessant ist die Viking, ein 1897 gebauter Zollkutter, der jetzt hier in Svendborg seinen Heimathafen hat. Wie gut, dass die ursprüngliche Verfügung der letzten Eignerin, das Schiff nach ihrem Tod zu verbrennen, geändert werden konnte und das Schmuckstück testamentarisch dem Museum Svendborg übertragen wurde. Allein die Ruderpinne ist ein Kunstwerk!
Ich schaue mir dann natürlich auch die Meta aus der Nähe an.
Zwei nahezu baugleiche Gaffelschoner liegen hintereinander, die Aron und die Karoline Svane. Die Aron wurde 1906 im nicht weit entfernten Marstal gebaut, beförderte früher Fracht auf der Ostsee und hat heute ihren Heimathafen hier in Svendborg, ebenso wie die Karoline Svane. Die ist allerdings schon deutlich älter, wurde im Jahr 1885 gebaut. Es ist einfach nur schön, dass solche historischen Schiffe mit viel Enthusiasmus und auch mit Fördergeldern - in Dänemark gibt es eine spezielle Stiftung - erhalten werden.
Weitere Bilder vom Hafen und aus der Stadt, bevor es wieder an Bord geht.
Unser heutiges Ziel ist Marstal, der letzte dänische Hafen, bevor es dann morgen zurück nach Kiel geht. Wir legen ab, setzen zügig Mars, Bram und Breitfock, und dann gibt es Frühstück. Auch heute hat der Wind nur wenig Lust, uns wirklich schnell voran zu bringen, so dass es wieder ein sehr gemächliches Segeln wird, mit kleinen Phasen, in denen der Motor zum Einsatz kommt. Zum Mittag gibt es die reichlich vorhandenen Reste des Grillabends, und zu Kartoffelsalat, Nudelsalat, Fleisch und Grillkäse werden noch ein paar kleine Schnitzelchen gebraten, einige auch vegetarisch.
Und dann zeigen wir, dass wir es selbst mit dem größten Stück Tuch auf uns nehmen. Die Breitfock wird herabgelassen und dann zusammengelegt. Ich habe das Gefühl, dass die Matrosin Kata (sitzt da auf dem Dach der Messe) schon etwas staunt, wie professionell wir das schaffen - nun, etliche von uns haben das in den vergangenen Jahren oft genug bewältigt. Wenn man weiß, wie es geht, ist es an sich ganz einfach...
Und dann legen wir sehr zeitig in Marstal an. Einige Mutige gehen an den Strand, um sich in die noch recht kühle Ostsee zu wagen, andere nehmen den Bus nach Ærøskøbing, um sich da umzuschauen, und andere eilen in das Søfartsmuseum. Und bei dieser Gruppe bin ich dabei. Beim Frühjahrssegeln 2016 war ich schon einmal hier - aber damals legten wir erst nach 15:00 Uhr in Marstal an, und das Museum schließt um 16:00 Uhr. Das war damals "Kamikaze-Tourismus", durchrennen, fotografieren (und dann stieg auch noch mein Akku der Kamera aus), und hoffen, hier nochmal her zu kommen. Auf diesem Törn sind zahlreiche Mitsegler, die, so wie ich, begeisterte Schiffsmodellbauer sind. (Im Modellbaubereich auf dieser Seite rede ich gern mal vom "Götterforum", nun, aus eben diesem Forum sind diese netten Menschen.) Wir haben ganz viel Spaß! Dieses kleine, feine Museum bietet unglaublich viele Schiffsmodelle und sonstige maritime Schmuckstücke, an denen wir uns gar nicht satt sehen können. Und da wir kurz nach 13:00 Uhr angelegt haben und das Museum gleich in Hafennähe ist, bleibt auch reichlich Zeit, alles in Ruhe zu betrachten. Ich verzichte an dieser Stelle auf Fotos aus dem Museum - ich wüsste gar nicht, welche ich NICHT zeigen sollte. Im Bericht von 2016 kann man sich einen Einblick verschaffen.
Aber auch draußen gibt es viel zu sehen. Da gibt es zum einen das Außengelände des Museums. Aber das ist noch lange nicht alles. Ein Stück weiter liegt ein Zweimaster auf dem Trockenen. Gern würde ich die Geschichte dahinter erzählen, aber die habe ich (noch) nicht herausbekommen. Ein interessantes Objekt ist es auf jeden Fall. An der Schiffsschraube sieht man intensiven Muschelbewuchs, das Unterwasserschiff braucht insgesamt eine Intensivbehandlung, und auch ansonsten sieht das Schiff nicht unbedingt ship-shape aus.
Dann ist es wieder Zeit, aufs Schiff zurück zu kehren. Ich muss ja schließlich 31 hungrige Sailies satt bekommen. Das gelingt mir auch heute wieder, auch dank der guten Vorarbeit meiner heutigen Küchen-Crew. Es gibt Kartoffelsuppe mit Bockwurst. Das Spezielle an dieser Suppe ist, dass ich sie so zubereite, wie ich es vor vielen Jahren meiner Mutter abgelauscht habe. Da ist ordentlich viel Rauchfleisch drin, es gibt noch ein paar geheime Zutaten, und die Konsistenz erinnert eher an einen dünnen Kartoffelbrei als eine wirkliche Suppe - und sie macht richtig satt. Ich staune wieder, wie schnell dieser riesige Topf sich leert, es scheint allen zu schmecken. Mir auch! Und während wir drinnen unsere Suppe auslöffeln, legen draußen die Seestern und eine alte Bekannte, die Pippilotta aus Kappeln, an. Die Seestern hat ihren Heimathafen in Kiel. sie ist ein 1874 als Dampfschlepper gebautes Schiff, welches 1936 zum zweimastig segelnden Fischereifahrzeug umgebaut wurde. Die Gaffelketsch ist heute als Jugendkutterprojekt unterwegs. Die Pippilotta haben wir schon oft auf unseren Fahrten getroffen. Das 1933 als Heringslogger vom Stapel gelaufene Schiff wurde 1990 zum Dreimastgaffelschoner umgebaut.
Tag 6 - Die Ostsee verabschiedet uns mit aller Kraft
Der letzte Tag hat es echt in sich. Alles, was uns die Tage zuvor an Wind gefehlt hat, bekommen wir heute auf einen Schlag. Raggi macht gleich nach dem Frühstück eine klare Ansage. Alles sicher verstauen. Nicht unter Deck und auch nicht in der Messe bleiben. An Deck sein, sich immer sichern, Blick auf den Horizont, Arbeit suchen, Essen und Trinken in kleinen Mengen nicht vergessen.
Wir legen ab, setzen schnell den Schoner, das Groß, alle Vorsegel und die Mars. Unter diesem Tuch pflügen wir zügig durch die See. 6, dann 7 Knoten zeigt der "Tacho", das ist für die Hendrika schon ganz flott. Bis jetzt ist es noch normal. Der Wind treibt uns voran, auch auf dem heutigen Törn müssen wir kein einziges Manöver fahren. Irgendwann gehe ich dann in die Kombüse, heute Mittag soll es als letzte Mahlzeit eine Käse-Lauch-Suppe und Kartoffelpuffer mit Apfelmus geben. Die Mittagscrew putzt und schneidet mir den Lauch und etwas Suppengrün, und ich fange an zu kochen. Und so ganz allmählich tut es mir die Ostsee gleich. Der Wind wird stärker, die Wellen schlagen kräftiger und irgendwie von allen Seiten gegen das Schiff. Ich habe eine Pfanne mit Shrimps auf dem Herd, so als mögliche Einlage für die Suppe, wer es halt mag, die schlittert auf dem Herd hin und her. Das Schiff stampft und rollt immer heftiger. Ich rühre meine Suppe, brate Puffer und staune im Nachgang, dass das alles unfallfrei vonstatten geht. Irgendwann beschließe ich, dass die Suppe jetzt fertig ist, die Puffer sind alle gebraten und liegen warm in der Röhre. An sich könnte ich jetzt das Essen servieren, aber das ist jetzt alles andere als ein guter Zeitpunkt. Also kommen Deckel auf Topf und Pfanne, ich schaue mich nochmal in der Kombüse um, ob alles gesichert ist (der Herd hat einen hohen Rand, da kann nichts runterrutschen) und spüre, dass mir das Geschaukele jetzt in der überhitzten Kombüse auch zu viel wird. Also raus an die Luft, und schnell ist mir wieder besser. Niemand fragt mich, wann es endlich was zu essen gibt, und einige haben echt schwer zu kämpfen mit sich und dem Unwohlsein. Ich suche mir einen Platz ganz hinten am Ruder, wo Raggi in stoischer Ruhe und Lässigkeit sein Schiff lenkt. Heute haben wir endlich mal richtiges Segeln! Unsere Spitzengeschwindigkeit beträgt 9,1 Knoten, das ist schon ein recht beachtlicher Wert.
Schließlich erreichen wir die Kieler Förde, und durch die Landabdeckung beruhigt sich die See schlagartig. Einige sind erleichtert, andere hätten gern noch länger diese stürmische Fahrt erlebt. Als dann aber Suppe und Puffer serviert werden, ist bei (fast) allen der Appetit wieder da, und im Nu leeren sich Topf und Schüsseln.
Was jetzt folgt, ist das übliche Procedere am letzten Tag. Packen, Kabinen räumen, Schiff putzen, restliche Vorräte aufteilen.
Als wir an der Blücherbrücke in Kiel ankommen, liegen da schon zwei andere Schiffe. An der Kaimauer hat die Swaensbourgh festgemacht, neben ihr liegt die Zuidersee. beides alte Bekannte. Wir legen in diesem Päckchen als drittes Schiff an.
Und dann geht irgendwie alles schnell. Abschiedsgruppenfoto, Verabschiedung, Gepäck von Bord... Ich habe mit Raggi noch die finale Abrechnung zu machen, und als dann erledigt ist, ist kaum noch jemand da. Viel zu schnell ist dieser Törn wieder zu Ende.
Ich bin total erleichtert und glücklich, dass alles so gut geklappt hat. Von dem Unfall mit der Schulter (alles Gute, lieber N.!) abgesehen, war es eine rundum gelungene Fahrt. Ich koche leidenschaftlich gern - dass das auch für über 30 Leute klappt, ist für mich eine tolle Erfahrung.
Am Ende dieses Berichts kann ich nur ganz doll Danke sagen. Danke an alle Mitsegelnden, danke an die tollen Arbeitsgruppen, danke an mein wunderbares Orga-Team, danke an Raggi und seine Crew - und danke an Klaus, ohne den es diese Fahrten nie gegeben hätte.