Frühjahrssegeln mit der Hendrika Bartelds 2019

 

Tag 5

 

Wie immer nach dem Bordfest beginnt am nächsten Tag der Dienst an Bord eine Stunde später. Bis zum Ablegen verbleibt noch genügend Zeit, über die kleine Insel zu spazieren. Der Ort erscheint verträumt, kaum dass man mal einen Menschen sieht. In der Kirche hängt noch immer das schmucke Votivschiff. Und da ganz hinten auf dem vorletzten Bild ist unser Schiff zu sehen.

Vor dem Ablegen wird dann noch ein ganz besonderes Gruppenfoto gemacht; alle legen die Rettungswesten an, denn es ist der Koningsdag, der Nationalfeiertag der Niederlande. Und da unser Schiff seinen Heimathafen in Kampen hat und daher unter niederländischer Flagge fährt, erscheint es uns angebracht, einmal die holländischen Nationalfarben anzulegen, und sei es auch nur mittels der Rettungswesten.

 

Unser heutiges Ziel heißt Maasholm. Bei schönstem Sonnenschein legen wir gegen Mittag ab, und bald kommt Colin zu mir und fragt mich, ob ich mit ihm die fehlenden Webleinen am Fockmast anbringen möchte. Natürlich sage ich zu. Er schneidet die entsprechenden Tauenden zurecht, und dann legen wir unser Gurtzeug an. Colin will mir jetzt zeigen, wie der Knoten geht, mit dem die Webleinen gesetzt werden - der Webleinstek. Er staunt nicht schlecht, als ich meinen Knoten noch vor ihm fertig habe und guckt mich etwas verwirrt an, als ich ihm erzähle, dass ich diesen Knoten vor wenigen Wochen gleich 1.776 mal geknüpft habe. Als ich ihm von meinem Modellschiff berichte (siehe hier), schmunzelt er verstehend. Dann entern wir auf, er steuerbords, ich backbords. Ganz ehrlich: Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass ich einmal an einem echten Segelschiff und dann noch während der Fahrt, auf See, hoch oben in den Wanten Webleinen knüpfen würde. Welcher Modellbauer kann das schon von sich behaupten? Es macht Spaß, ist aber auch anspruchsvoll und nicht grad einfach. Ja, ich bin mit dem Gurtzeug gesichert, aber dennoch gilt der alte Grundsatz "Eine Hand für den Mann, eine für das Schiff" auch hier. Und zum Knüpfen der Knoten braucht man dann doch beide Hände. Die Webleinsteks gelingen mir dennoch gut, allerdings scheitere ich dann an der zweiten Aufgabe, dem Anbändseln der Tauenden an den jeweils äußeren Enden. Entgegen der in meinen Fachbüchern beschriebenen Methode werden hier auch an den äußeren Wanten Webleinsteks gesetzt und die Enden dann mit dünnem Tau an das Want gebändselt. Colin hat mir dazu eine Methode gezeigt, wie man mittels eines Marlspiekers die einzelnen Tauwindungen straff zieht, und an der Stelle fehlt mir dann irgendwie ständig eine dritte Hand. Also überlasse ich diese Arbeit dem Fachmann. Dennoch steige ich nicht ohne eine gewisse Portion Stolz aus den Wanten und nehme mir vor, bei nächstbester Gelegenheit meine Arbeit zu testen. Das klappt dann am nächsten Tag...

 

Später arbeite ich noch ein wenig am Klüvernetz, straffe noch ein paar zu sehr durchhängende Stellen. Und dann heißt es mal wieder "Mann über Bord!". Zum Glück ist es auch dieses Mal nur ein vom Käptn ins Wasser geworfener großer Fenderball, der dann mit dem schnell ins Wasser gelassenen Schlauchboot gerettet wird. Und da das Boot einmal im Wasser ist und der Wind nur wenig weht, gibt es wieder die beliebten Fototouren rund ums Schiff. Weil sich dann aber eine Wetteränderung ankündigt, werden die Vorsegel schon währenddessen runter gelassen. Einerseits schade, denn es sind immer die schönsten Bilder, wenn möglichst viele Segel gesetzt sind. Andererseits ist das auch mal interessant, von außen zu sehen, wie die herabgelassenen Vorsegel herunterhängen. Später werde ich gemeinsam mit einem Segelfreund wieder im Klüvernetz stehen und die beiden vorderen Stagsegel, den Außenklüver und den Innenklüver, einbinden. Wenn der Wind wieder auffrischt, zerrt er ganz ordentlich an den großen Segeln, und man muss schon mächtig rackern, um das widerspenstige Tuch zu bändigen. 

 

Jetzt setzt Regen ein, es wird ein wenig ungemütlich an Deck, aber dafür bekommen wir wieder besseren Wind. Und bei schönem Wetter kann schließlich jeder segeln, also genieße ich auch jetzt die Fahrt; und der Gang neben der Messe bietet ein wenig Schutz vor dem Regen, wenn man sich an die Leeseite stellt. 

Als wir gegen 20:00 Uhr in Maasholm anlegen, wissen wir, dass dies leider schon unser letzter Abend an Bord ist, da der Törn in diesem Jahr etwas kürzer als sonst ist. Morgen geht es dann wieder zurück nach Kiel.

Manch einer nimmt auf die Fahrt sein Lieblingskuscheltier mit. Und ich habe wieder die "neunschwänzige Katze" dabei, die mir vor ein paar Jahren eine Segelfreundin hergestellt und geschenkt hat. Gut, dass dann jemand die Idee für ein Gruppenfoto hat.  

Und für alle, die sich in maritim-historischen Dingen nicht so gut auskennen: "Neunschwänzige Katze" wurde früher eine Peitsche genannt, bestehend aus neun Strähnen, entweder aus Tau oder Leder, oft noch mit eingeflochtenen Knoten. Sie diente zur Bestrafung von Disziplinverstößen durch die Seeleute. Gut, dass diese Zeiten lange vorbei sind.

 

Tag 6

 

Nach dem Frühstück bleibt noch ein wenig Zeit, um eine hier sehr bekannte und beliebte Fischräucherei zu besuchen und uns mit leckeren Fischbrötchen für das zweite Frühstück zu versorgen. Und ich habe im Hafen ein weiteres Segelschiff entdeckt, die BANJAARD, wo man sich schon fleißig segelfertig macht. Auch sie hat als Heimathafen Kampen. Der schmucke Topsegelschoner wurde 1913 in Hoogezand (NL) als Frachtsegler gebaut und segelt seit seinem Umbau 1992 auf der Ostsee, dem IJsselmeer und vor der niederländischen Küste. Sie hat zwar einen Mast weniger als unsere HENDRIKA, ist aber ansonsten der selbe Schiffstyp.

Als wir dann ablegen, erlebe ich wieder etwas Neues: Wir warpen uns vom Kai weg. Mit dem Schlauchboot wird eine dicke Trosse zu einem kräftigen Pfeiler, der im Wasser steht, gebracht und dort belegt. Dann zieht sie die HENDRIKA mittels des Motors an dieser Trosse vom Kai weg.

Und während wir noch mit diesem Manöver beschäftigt sind, segelt die BANJAARD schon aus der Hafenbucht. 

 

Aber dann sind wir auch unterwegs und setzen die Segel. Vorbei an dem schmucken kleinen Leuchtturm verlassen wir die Schleimündung und segeln Richtung Kieler Förde. 

 

Und jetzt gilt es! Wieder lege ich das Gurtzeug an und entere auf, denn heute will ich "meine" Webleinen testen. Und dank der von mir eigenhändig eingezogenen Leine an den Püttingswanten schaffe ich es ohne Probleme auf die Saling. Das ist nach dem Klüvernetz für mich der schönste Ort auf dem Schiff - oder besser gesagt über dem Schiff. Da oben zu sein, die geblähten Segel zu sehen, den Wind spüren, die Schiffsbewegungen ganz anders wahrnehmen als an Deck - das sind Glücksmomente, die mir niemand nehmen kann. 

 

Wieder an Deck, entdecke ich weit draußen die Hanse-Kogge. Zwar bietet sie ohne Rah und Segel einen nicht so imposanten Anblick, dennoch bin ich begeistert. Am Horizont ist erst die BANJAARD und dann die ROALD AMUNDSEN zu sehen. Und so kann ich meinen Schiffsbegegnungen wieder etwas hinzufügen. 

 

Wie immer auf dem Weg zurück nach Kiel herrscht an Bord jetzt hektische Betriebsamkeit. Sachen müssen gepackt, Betten ab- und neu bezogen werden; überall wird Klarschiff gemacht, und so vergehen die letzten Stunden wie im Flug. Schon nähern wir uns wieder der Blücherbrücke, wo uns schon drei weitere Segelschiffe erwarten. Da liegt zum einen der Topsegelschoner SWAENSBORGH, den wir auf früheren Fahrten auch schon getroffen haben. Hinter ihr sehe ich den 1949 gebauten Stagsegelschoner MEANDER sowie den in Middelburg (NL) beheimateten Zweimastschoner STORTEMELK, die wir auch schon ein paar Mal in Kiel gesehen haben.

 

Und dann heißt es wieder einmal Abschied nehmen. Es war wieder ein fantastischer Törn mit tollen Menschen, viel Spaß, aufregenden Erlebnissen, viel zu viel lecker Essen und unzähligen wunderbaren Momenten. Segeln tut Not! Auch 2020 wieder...