Mai 2021
Bevor ich über die im Kapiteltitel genannten Themen berichte, muss ich noch ein weiteres Besatzungsmitglied vorstellen. Es ist der persönliche Stewart des Kapitäns, Samuel Dickinson. Er serviert hier seinem Herrn und Meister und dessen Gast einen Aperitif auf dem Achterdeck,
Diese Figur liegt hier schon lange angemalt herum, wurde aber letztendlich bei der Wahl bezüglich der Besatzungsmitglieder, die sich in Deck aufhalten dürfen, ausgemustert. Eines Tages nimmt ihn sich meine Lebensgefährtin wortlos, und ich denke mir nichts dabei. Und am nächsten Tag präsentiert sie mir dann den umgearbeiteten Kameraden mit Tablett und Flasche und Gläsern, die sie aus Miliput gezaubert hat. Und so müssen die Herren Offiziere nicht dürsten in der warmen Sonne des Atlantiks.
Finknetze
Was sind Finknetze? So nennt man Gestelle auf der Reling, die mit Netzen bespannt sind und in welche tagsüber die Hängematten der Seeleute verstaut werden. Unter Deck können die Matten nicht bleiben, denn am Tage braucht man den Platz dort. Die Seeleute wickeln üblicherweise ihre Habseligkeiten in ihre Hängematten ein. Im Fall eines Kampfes mit feindlichen Schiffen bieten die in den Netzen gestauten Hängematten auch einen gewissen Schutz vor feindlichem Beschuss. Einer Kanonenkugel halten sie selbstverständlich nicht stand, aber Musketenkugeln bleiben schon drin stecken.
Der Bausatz sieht nur die Halterungen vor, aber das ist mir zu wenig und entspricht eben auch nicht der historisch korrekten Situation. Aus dem Ätzsatzangebot des schon an anderer Stelle erwähnten "dafi" nehme ich passende Halterungen und auch die feinmaschige Gaze für die Netze.
Zuerst steht die Überlegung, in welcher Reihenfolge ich die Arbeiten angehe. Finknetzhalter auf die Reling kleben, dann die Netze anbringen, dann die Matten rein? Oder doch lieber alles an Land fertigen und als fertiges Konstrukt anbringen? Ich brauche da nicht lange nachdenken: Ein Arbeiten direkt auf der Reling wäre Wahnsinn - viel zu viele Taue und anderer Krams im Weg.
Also dann, los geht's. Die Halterungen aus der Platine geschnitten und ab ins Brünierbad. Aus dem Netz passende Streifen für die beiden Netze geschnitten. Dann mit 0,1mm Takelgarn Netz und Halterungen verbinden - eine etwas fummelige, aber dennoch leichte Aufgabe. Kurze Sichtprobe, ob die Höhe der gewählten Halter auch stimmig ist - jepp. Der auch eingefädelte Faden unten ist ein "Arbeitsfaden", er sorgt dafür, dass das Netz auch wirklich bis unten reicht und nicht nach oben rutscht. Er soll dann später wieder verschwinden. So, das sieht dann erstmal nicht schlecht aus.
Nun die Hängematten. Sie hatten im Original genormte Maße - 72 x 36 Zoll. Probeliegen auf einem Reststück Segeltuch - passt, vielleicht noch ein Millimeter mehr in Länge und Breite. Also schneide ich mir die entsprechenden Stücke aus Segelresten - ich habe da u.a den noch fast kompletten Segelsatz der Papegojan - und rolle diese längs mit verdünntem Weißleim auf. Nach dem Antrocknen werden die Röllchen geknickt, später dann eingebunden. Ich baue immer Päckchen zu je acht Matten, verbinde sie miteinander ähnlich wie beim Korbflechten - geht schnell, sieht so aus, als sei jede Matte einzeln zusammengebunden und sorgt dafür, dass die Matten schön dicht aneinander sitzen.
Die einzelnen Päckchen klebe ich dann aneinander, bis ich eine schöne feste Reihe habe, die nun nur noch in das Netz muss.
Und dann ab an Deck. Es macht sich wunderbar leicht, das gesamte Gebilde auf die Reling zu kleben.
Hmm. Für einen kurzen Moment gefällt es mir, aber nur für einen kurzen Moment. Irgendwie ist alles nicht stimmig. Die Position insgesamt ist richtig, länger ist dieses Teil auf diesem Schiff nicht. Klar, es ist erst einmal ein ungewohnter Anblick, im ersten Augenblick würde man sagen, das versaut die gesamte Optik. Ok, ja, da muss man sich dran gewöhnen - und sie gehören da nun mal definitiv hin.
Nein, es sind die Matten selbst, die nicht passen. Sie stehen zu hoch. Dazu kommt noch, dass man nicht das Gefühl hat, dass sie wirklich in die Netze gestopft wurden, wie es damals wohl üblich war, damit alle unterkommen und im Gefechtsfall eben auch noch einen kleinen Schutz vor feindlichen Musketenkugeln bieten.
Also kommt es wieder einmal zu einem Abriss. Die Reling leidet darunter etwas, aber das ist unproblematisch. Wenn die Netze wieder drauf sind, sieht man da nichts mehr davon.
Ich entscheide mich dann nach tagelangem Grübeln, Recherchieren und Fragen im "Götterforum", die Finknetze im abgedeckten Zustand darzustellen. Dies ist alles andere als ungewöhnlich; die gefüllten Netze wurden häufig abgedeckt, um die Hängematten vor Nässe und anderen Wetterunbilden zu schützen. Dazu nehme ich feingewebten Baumwollstoff (meine Lebensgefährtin näht derzeit Segel für ihre Victory, da fällt für mich genügend Stoff ab), betätige mich dann erstmals als Segelmachergehilfe und mache mich an die Fertigung einer Abdeckung. Zuerst schnitze ich mir aus Balsaholz einen "Finknetzdummie", den ich dann auch mit dünnem Netz ummantele. Dann einen Streifen Stoff zugeschnitten, die Längskanten sauber per Hand umsäumt und dann die beiden schwierigen Enden genäht. Dann schiebe ich die Finknetzhalter (aus dafis Ätzsatz) auf den umnetzten Dummie und klebe ihn fest. Nun kommt die Stoffhülle drüber.
So hell will ich den Stoff aber nicht lassen, also wurde er "geteert" - in meinem Fall mit Beize Eiche dunkel eingepinselt. Das Ergebnis sieht man auf den beiden Bildern. Mir gefällt es, ich finde, durch den Stoff wirkt es doch sehr authentisch. In der damaligen Zeit wurden diese Abdeckungen auch regelmäßig geteert, um sie wasserfest zu machen, und der Teer, der da verwendet wurde, war der sog. "Stockholmteer", eine dickflüssige Brühe, die nicht etwa schwarz, sondern je nach Teerstärke mehr oder weniger braun war.
Die Finknetzhalter drücken durch den Stoff, was genau so gewollt ist. Auf späteren Bildern wird man sie dann direkt am Schiff sehen.
Anker
Die Herstellung der Anker habe ich bereits in Kapitel 10 beschrieben. (Unglaublich, dass das schon 7 Jahre zurückliegt!) 2 Jahre später kamen dann die Ankerringe (Kapitel 20). Nun endlich ist es Zeit, die Anker anzubringen. Vorher werden aber die Ringe der beiden großen Anker neu gebaut; die damalige Kleedung war mir nicht wirklich gut gelungen. Die Ankerbojen fertige aus einem Stück Holz; Feile und Sandpapier sowie Farbe und Garn liefern das vorliegende Ergebnis.
Laternen
Nahezu unbeachtet in diesem Baubericht, zumindest von den Überschriften her, sind die Laternen. Die Mercury hat drei. Zwei zieren das Heck und die dritte ist an der achternen Kante der Marsplattform des Großmastes zu finden. Die Herstellung dieser fragilen Teile kann man in Kapitel 16 nachlesen. Nun wird es Zeit, sie anzubringen.
Korrekturen
Vor ein paar Wochen:
Inspiriert durch eine Fotoidee eines Modellbaufreundes nehme ich auch mal ein paar Aufnahmen von oben auf das Schiff. Die Bilder gefallen mir nicht, weil sie einen Fehler deutlich machen, den ich zu dem Zeitpunkt noch hoffe, im Zuge des Fertigtakelns des Gaffelsegels beheben zu können. Nun ja, so richtig gelingt mir das wohl nicht, aber irgendwie verdränge ich das. Dann aber, als die Mercury mal im Wohnzimmer auf einer flachen Kommode steht, wo ich sie sehr gern fotografiere, wegen des neutralen Hintergrunds, und ich gegenüber auf der Couch sitze und sie mir immer wieder anschaue, steht der Entschluss fest: Das muss geändert werden.
Das erste ist das zuvor verschmähte Bild.
Was man wissen muss: Die oberen Rahen werden immer ein wenig mehr angebrasst als die darunter. An Fock und Groß sieht das gut aus, am Besan alles andere als gut. Also geht es jetzt um eine deutliche Korrektur. Ziel: Maximales Ergebnis bei minimalem Abriss. Wobei "Abriss" hier für das Lösen von Tauen steht, wobei dann auch die Option möglich ist, dass ein Tau plötzlich zu kurz ist und also ersetzt werden muss. Interessant ist bei einer solchen Arbeit, wie das Verständnis vom Zusammenwirken der vielen verschiedenen Zugkräfte wächst. Hier vorsichtig zuppeln, dort sanft eine Wicklung um eine Klampe zurücknehmen, da genau das Gegenteil machen...
Im Ergebnis muss ich wirklich nur drei Taue echt lösen und neu befestigen, und so sieht die Draufsicht jetzt aus. Und nun bin ich zufrieden.
Juni 2012
Flaggen
Die Beflaggung ist nun wirklich der Schlusspunkt. Ich entscheide mich gegen die Papierflaggen, die dem Bausatz beiliegen und vielmehr Stoffflaggen im Internet bestellt. Und das nicht wegen der Qualität - die Fähnchen sind wirklich hervorragend. Aber ich habe mich informiert, wie die korrekte Beflaggung damals gewesen wäre: An der Piek des Gaffelbaums wurde bei Schiffen, die nicht zu einem Verband gehörten, der rote Ensign gefahren (im Bausatz ist es der weiße) und an der Mastspitze des Großmastes die Tricolore-Flamme - auch hier liegt dem Bausatz die weiße Flamme bei. Das Georgskreuz am Fockmast ist korrekt.
Die Stoffflaggen beziehe ich hier: http://www.schiffsmodellflaggen.de/deutsch/deutsch.html Die Qualität ist einfach nur super, und es liegt eine kurze Anleitung dabei, wie man mit den Fähnchen am besten umgeht.
Eine wichtige Frage muss ich dann noch klären: Wie werden die Flaggen angebracht? Meine sonst so ergiebigen Fachbücher schweigen sich über dieses Detail heftig aus. Hilfe bekomme ich wieder einmal im "Götterforum", und so weiß ich jetzt, dass die Flaggenknöpfe - also die Abschlussteile an den Mastspitzen - eingearbeitete Scheibgats haben, durch die die Flaggleinen geschoren werden. In viel früheren Jahren war es durchaus üblich, die Flaggen direkt an die oberste Stenge zu nageln, aber eben nicht bei einem englischen Kriegsschiff in der Zeit des Age of Sail. Flaggen wurden oftmals auch für eine Kriegslist eingesetzt, da wurde schnell mal die Zugehörigkeit zu einer anderen Nation vorgetäuscht, um einen potentiellen Gegner auszutricksen - das musste dann schnell gehen. Daher Flaggleinen durch diese Scheibgats, die man von Deck aus einfach bedienen konnte.
Flaggenknöpfe liegen dem Bausatz nicht bei. Nun, das ist jetzt kein wirkliches Problem. Ich nehme dazu einfach die Selbstbausätze für Jungfern aus dem Bausatz und baue diese so, dass das Mittelteil, welches einen kleineren Durchmesser hat, eben nicht in die Mitte kommt, sondern oben drauf. So erhalte ich die Form, die die Flaggenknöpfe üblicherweise haben. Angenehmer Nebeneffekt: Zumindest eines der Löcher kann ich gleich nutzen, ich bohre mir dann dicht daneben ein zweites und fädele so meine Flaggleine durch, an der ich zu vor die jeweilige Flagge angebracht habe. Mit etwas Farbe werden die Flaggenknöpfe dann noch verschönert, wodurch auch die nicht genutzten Löcher der ehemaligen Jungfer überdeckt werden.
Für den Ensign, also die große Flagge am Heck, gibt es an der Piek des Gaffelbaumes bereits einen Block. Ich klebe dann auf den Giekbaum, also den unteren Baum, eine Klampe, an der ich dann nach dem Setzen des Ensign die beiden Enden belege.
Nun fertige ich noch ein paar "Puppen", also Taurollen, die an den Nagelbänken die aufgeschossenen Taue darstellen. Außerdem sehe ich, dass einer der aufenternden Seeleute etwas abgewetzt ist, also wird der Kamerad mit frischer Farbe aufgehübscht. Und dann plötzlich wird es mir bewusst:
Meine Mercury ist fertig! Ich kann es noch gar nicht richtig fassen und gieße mir erst einmal ein ordentliches Glas meines besten Rums ein.
Was jetzt noch fehlt, ist die Vitrine vor allem die Gestaltung des Dioramas, welches da dann hinein soll. Aber das ist ein anderer Schnack - das Schiff selbst ist tatsächlich fertig.